Das Tagebuch

29.1.25
Ein Zwischenruf vom Seitenrand
Zum Thema Brandmauer, Zensur und Redeverbot gibt es ja den guten und wahren (fälschlicherweise Voltaire zugeschriebenen) Satz „Ich teil Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie sie äußern dürfen.“
Den würde ich auch für die Herren Merz und Söder gelten lassen. Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass man sich, sobald die beiden anfangen zu reden, nicht übergeben dürfte.
So viel zur aktuellen Bundestagsdebatte.

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Und trotzdem hab ich mich hin und wieder auf ‚phoenix‘ ins Reichs­tags­spektakel reingezappt. Ich wollte doch mitkriegen, wer künftig zu den „Merzgefallenen“ *) gehören würde. Bevor jedoch die Schleusen geöffnet wurden, musste noch eine feierliche Pflichtveranstaltung absolviert werden – zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Na­tionalsozialismus“. Der Steinmeier hat da wieder seine Rede gehal­ten. Das kann der ja immer ganz gut. Steinmeier, die Staatsraison in persona. Etwas unpassend fand ich nur, diesen Termin mit dem andern Termin am selben Tag zu veranstalten, also den Auschwitz-Tag mit einer Art Endlösung der Migrationsfrage zu vermixen. Aber wat willste machen …
Ich hatte gedacht, jetzt musste aber genau hin hören, wenn schon der gesamte Reichstag – selten genug - sich zusammentrommeln lässt. Da geht’s bestimmt um was sehr Ernstes und Gewichtiges ... Und richtig! Thema war ja Merz seine Vorstellungen zur Stilllegung und Austrocknung der endlosen Migrationsströme, die unsere Heimat kaputtströmen würden und dass Deutschland nicht das Sozialamt der Welt sei und wie wir den Negern, die in Zukunft alle zu uns … ach so, N-Dingsda hat er nicht gesagt. Aber gemeint. Weiß ich genau. Egal … die in Zukunft alle zu uns kommen wollen, also wie man denen die schöne, deutsche Leitkultur, äh, beibiegenbringen kann oder über­haupt will und dass das alles nicht so weiter gehen kann und Grenze dicht und aus die Maus und das Gebot der Stunde heißt Abschieben in ganz großem Stil, abschieben oder noch besser gar nicht rein­lassen und Kriminelle sowieso und dass es ihm völlig, ja VÖLLIG egal sei, ob mit der AfD oder mit ohne der AfD und Europa-Recht, was soll das denn jetzt? Die andern Völker denken doch genau so wie er selber, genau, und ein Wechsel muss her, nein, nein, kein Wild­wechsel sondern Politik­wechsel und das würde nur mit ihm gehen und niemand sonst hat die Absicht, eine Brandmauer und das Problem ist nicht, dass die AfD hier mitmacht, sondern das die Grünen und die SPD nicht mitma­chen. Das ist doch das Problem.
Und so weiter und so weiter.
Und das Interessante an dieser Politikervorstellung war, dass kein Redner in seiner Rede vergas, seine ultra-tiefe Betroffenheit über die Toten von Aschaffenburg zu bekunden und die Taten des afghani­schen Flüchtlings mit der geballten Kraft parlamentarischer Heuchel­kunst für seine durchsichtigen Zwecke als Retter Deutschlands aus größter Not zu missbrauchen.
Denn wenn einer mit der im Reichstag so armselig verhandelten Migrationsproblematik nichts, aber auch rein gar nichts zu schaffen hat, dann ist das ein schwer traumatisierter afghanischer Flüchtling, der nicht mehr Herr seiner Sinne ist und nicht mal was mit diesem Islamismus am Hut hat.

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Anmerkungen
*)
Ganz kurze Geschichtsstunde gefällig aus Wikipedia?
„Als Märzgefallene bezeichnet man die Todesopfer derMärzrevolution von 1848 in Wien und Berlin. Die Bezeichnung wurde für weitere Er­eignisse aufgegriffen, u.a. für die Opfer des Kapp-Putsches von 1920 in verschiedenen Städten.“
Wichtig in unserm Zusammenhang ist aber die ironische Drehung:
„Ironisch wurde der Begriff für die hunderttausenden Menschen verwendet, die nach der Reichstagswahl im März 1933 noch schnell die NSDAP-Mitgliedschaft beantragten, sowie für die letzten ab März 1960 zwangskollektivierten Landwirte in der DDR.“
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